Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit

Unter „Selbstwirksamkeit“ verstehen wir den eigenen Einfluss eines Individuums sowohl auf sich selbst als auch auf seine Umgebung. Dies bedeutet, dass ein Mensch (und wir unterstellen jeder Mensch) Potentiale besitzt, durch die er in der Lage ist Einfluss zu nehmen.

An scheinbar banalen Zusammenhängen lässt sich Selbstwirksamkeit wunderbar demonstrieren. Auf einer materiellen Ebene kann ein Mensch etwa einen Stuhl nehmen, der eben noch draußen steht und ihn ins Haus tragen. Die Tatsache, dass dieser Stuhl nun seinen Standort wechselt liegt einzig an der Selbstwirksamkeit des entsprechend handelnden Menschen.

Nun mag man dieses Beispiel als belanglos abtun. Es mag auch sein, dass die aus der Selbstwirksamkeit hervorgehende Handlung „Stuhl aus dem Garten ins Haus bringen“ für die Leserin bzw. den Leser dieser Zeilen tatsächlich belanglos – weil vollständig alltäglich und selbstverständlich – ist. Dennoch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass selbst das profane Beispiel des Hineintragens eines Stuhles aus dem Garten ins Haus für manche Menschen eine hohe Bedeutung und ein wertvolles Erlebnis der eigenen Selbstwirksamkeit sein kann. Man denke hierbei beispielsweise an ein fünfjähriges Kind, das Mama und Papa hilft das Mobiliar vor dem aufziehenden Sommergewitter in Sicherheit zu bringen. Dieses Kind erlebt sich selbst durch den Stuhltransport sehr eindrücklich. Es erfährt, dass es größer und stärker geworden ist, dass es den schweren Stuhl inzwischen heben und tragen kann. Es erlebt seine eigene Wirksamkeit auf das Familienleben, da es seinen Eltern aktiv helfen konnte. Oftmals stellen Kinder nach solchen Taten rückversichernde Fragen an ihre Eltern, ob sie das eben gut gemacht haben. Eine entsprechende Bestätigung oder auch ein von Mama oder Papa selbst initiiertes Lob bestärken das Kind in seiner positiven Erfahrung von Selbstwirksamkeit und lassen es buchstäblich wachsen und gedeihen…

Doch gehen wir an dieser Stelle in der Beschreibung der Selbstwirksamkeit einen Schritt weiter. Wir gehen davon aus, dass jede Tat, jede Äußerung, ja auch jeder Gedanke eines Menschen immer mit menschlicher Selbstwirksamkeit zu tun hat. Diese Selbstwirksamkeit kann sich ganz unterschiedlich zeigen.
Stellen wir uns einmal eine Situation vor, in der ein Jugendlicher im Wohnzimmer mit einem Ball spielt. Irgendwann verfehlt er das anvisierte Ziel, der Schuss geht daneben und trifft die teure Vase im Regal, die entzweibricht. In diesem Fall hätte durch Unachtsamkeit des Jugendlichen – wahrscheinlich ausgelöst durch Unerfahrenheit und einem Mangel an Voraussicht – die Selbstwirksamkeit desselben zerstörerisch gewirkt. Von hier aus hat der erschrockene Jugendliche eine Vielzahl von Handlungsoptionen, die aber alle wiederum erst durch seine Selbstwirksamkeit zu tatsächlichen Handlungen werden (können).

Vielleicht geht er zu seinen Eltern, räumt seinen Fehler ein und kann durch seinen ehrlichen Umgang mit der Situation auf eine milde Reaktion der Eltern hoffen, wodurch sich die Situation schnell und relativ angenehm für ihn auflöst.
Vielleicht weiß er aber auch, mit welchem Kleber die Vase zu reparieren sein könnte. Entsprechende Fähigkeiten hat er sich ggf. schon angeeignet, sprich in das Repertoire seiner Selbstwirksamkeit integriert. Er könnte nun die Situation auf Grundlage seiner eigenen Wirksamkeit bereinigen und anschließend die heile Vase zurück ins Regal stellen.
Es könnte aber auch durch eine Ansammlung an Lügengeschichten und Vertuschungen bzgl. der kaputten Vase gegenüber den eigenen Eltern eine selbstwirksame Rückkopplung auf die eigene Person des Jugendlichen geben. So könnte es (entstanden aus Selbstwirksamkeit) heftige innere Zwiegespräche des Jugendlichen mit dem eigenen Gewissen geben. Schließlich würde die Wahrheit vielleicht doch auf für den Jugendlichen sehr unangenehme Weise ans Licht kommen. Die Eltern könnten wiederum von ihrer eigenen Selbstwirksamkeit Gebrauch machen und die fahrlässige Zerstörung der Vase und das folgende aufgebaute Lügenkonstrukt entsprechend hart sanktionieren. Dies wiederum würde dem Jugendlichen eine breite Auswahl an selbstwirksamen Reaktionen offenbaren…

Dieses Beispiel ließe sich nun in immer feiner werdende Verästelungen von Gedanken, Kommunikationen und Handlungen und der aus ihnen resultierenden Selbstwirksamkeit auffächern.

Darauf wollen wir an dieser Stelle aber verzichten. Es soll hier lediglich darum gehen aufzuzeigen, dass wir alle – Menschen jeden Alters – in unserem Leben ständig selbstwirksam sind. Dieser Umstand scheint aber allzu oft nicht im Bewusstsein der Menschen verankert zu sein. Dafür hören wir zu oft vom sprichwörtlichen „Kleinen Mann“, der ohnehin keinen Einfluss habe. „Was kann ich als einzelne(r) schon ausrichten?“ ist eine häufige, resignierende Frage, die dann zu Nichtstun und entsprechend fehlender Selbstwirksamkeit führt.

Gesellschaftliche Problemlagen sei es innerhalb der kleinsten gesellschaftlichen Einheit, oder in einem globalen Zusammenhang, oder irgendwo dazwischen lassen sich nur durch das Zusammenspiel von Selbstwirkungen angehen und beheben. Denn auch wenn die anderen Menschen als unüberwindliche Masse erscheinen mögen, so sind sie in Wahrheit doch alle einzelne Menschen. Jeder für sich selbstwirksam, aber auch durch Selbstwirksamkeit der anderen beeinflussbar. Wir erachten es daher für das menschliche Zusammenleben als unabdingbar die eigene Selbstwirksamkeit der Menschen bewusst zu machen. Auf Selbstwirksamkeit und ihre Folgen bereits Kinder und Jugendliche hinzuweisen, und einen verantwortungsvollen Umgang mit Selbstwirksamkeit zu üben. Mit Erwachsenen die Selbstwirksamkeit neu zu entdecken.

An diesem Punkt kommt die Erlebnispädagogik ins Spiel. Sie ist geradezu darauf ausgelegt, dass Menschen ihre Selbstwirksamkeit (wieder) entdecken. Sie fördert Handlungen und Ausprobieren. Sie setzt Impulse zum Finden eigener neuer Gedanken und Erkenntnisse im Spiegel der Natur. Sie lässt Menschen Steine, Stöcke und Gänseblümchen zu persönlichen Konstellationen verbinden, die Bilder von Selbstwirksamkeit zeichnen. Sie lässt Menschen über sich hinauswachsen und zeigt ihnen damit eigene Wirkungen, die sie sich vorher nicht zugetraut hätten. Sie lässt einzelne Menschen in Gruppen den eigenen Beitrag zum Gelingen eines Projekts erkennen. So kann aus erkannter und so benannter Selbstwirksamkeit eine neue Form von Selbstbewusstsein entstehen. Menschen merken, dass ihre Beteiligung Auswirkungen hat und fühlen sich dadurch ermutigt Dinge anders zu machen und zu erneuern.

 

„Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.“
Erich Kästner

 

Erlebnispädagogik unterstützt die Entstehung des Guten, indem sie das stets selbstwirksame Tun der Menschen fördert.

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